Wie relevant ist die Blockchain für die Logistik?

Stefan Seufert, CTO/Vorstand EIKONA AG
Eng aneinander gereihte verschieden hohe Blöcke

Das Thema Blockchain füllt regelmäßig die News-Seiten und die Aktienkurse der auf dieser Technik basierenden Bitcoins sorgen immer wieder für Aufsehen. Auch in der Logistik wird dieser Begriff häufig diskutiert. Um jedoch beurteilen zu können, ob diese Technik für eine bestimmte Problemstellung taugt, muss man ein wenig hinter die Kulissen schauen.


Hinter dem vielgenutzten Begriff Blockchain verbirgt sich eine dezentrale Datenbank, mit der alle Beteiligten Dokumente und finanzielle Transaktionen sicher und ohne Umweg untereinander austauschen können. Blockchain ist auch für die Logistik interessant, um Sendungsdaten schneller zu teilen, die Transparenz entlang der gesamten Supply Chain zu erhöhen und damit Prozesse zu beschleunigen – von Abrechnungen über Beauftragungen bis hin zu Zollformalitäten. Alle Einträge bauen dabei auf den vorangegangenen auf. Damit werden sämtliche Informationen automatisch in einen zeitlichen Zusammenhang zueinander gebracht. Ganz ähnlich wie bei einem Kontoauszug oder einem Kassenbuch, bei dem zu jeder Buchung der Saldo mitgeschrieben wird. Wenn jemand eine Änderung in der Datenhistorie des Journals vornehmen wollte, müsste er ab dem Zeitpunkt der Änderung das komplette Journal aktualisieren oder – anders ausgedrückt – die „Geschichte umschreiben“.


Sicherheit

Blockchain macht Logistikprozesse noch verbindlicher

Weil die Daten verteilt auf den Rechnern aller Teilnehmer der Blockchain gespeichert sind, müssen Änderungen stets an alle anderen Teilnehmer übermittelt werden. Diese können das „Umschreiben der Geschichte“ aber aufgrund der jeweils eingesetzten Algorithmen erkennen und werden unberechtigte Anfragen ablehnen. Ein Beispiel aus der Logistik: Ereignisse entlang der Supply Chain lassen werden in einem solchen Journal detailliert dokumentiert, um dann bei Schadensereignissen auf die gesicherte Historie zurückzugreifen. Weil keine Daten mehr verändert werden können, gibt es auch keine Möglichkeit für den Einzelnen, sich aus der Verantwortung für einen durch ihn entstandenen Schaden zu argumentieren, indem er nachträglich Dokumente anpasst. Wer es versucht, hinterlässt im Journal einen für alle anderen Teilnehmer klar erkennbaren Zeitstempel, der zeigt, dass diese Meldung später bearbeitet wurde.

Für den Fall, dass sich die Teilnehmer nicht einig sind, was nun die „richtige Version“ der Geschichte ist, setzt man in der Regel Mehrheitsentscheidungen ein, den sogenannten Konsensus. Dies bedeutet in letzter Konsequenz, dass die Historie im Journal unveränderlich ist, sofern es niemandem gelingt, mehr als 50 Prozent der Teilnehmer auf seine Seite zu ziehen. Dies ist gleichzeitig die wichtigste Eigenschaft, warum Prozesse mittels Blockchain abgebildet werden: Die Technik ermöglicht es, sich über einen Mehrheitsentscheid auf eine allgemein anerkannte Datenhistorie zu einigen, ohne, dass dafür eine zentrale Instanz benötigt wird.


Datenbestand

Nachprüfbarkeit mit synchronen Datenbeständen verbessern

Wenn konkurrierende Unternehmen zusammenarbeiten wollen, erreichen sie mit der Blockchain einen abgestimmten, synchronen Datenbestand, ohne einen „Treuhänder“ dazwischenzuschalten, der seinerseits die Daten verändern könnte. Dieser kann beispielsweise dazu genutzt werden, um zuverlässig und nachweisbar Informationen auszutauschen. Will man einem anderen Teilnehmer etwas mitteilen, schreibt man es einfach in das Journal. Der Empfänger liest das Journal mit und erhält dadurch die für ihn bestimmte Nachricht. Sobald der Eingang der Nachricht von der Mehrheit der Teilnehmer bestätigt wurde, kann sich der Empfänger nachweisbar darauf berufen, dass der Absender ihm genau diese Nachricht zum angegebenen Zeitpunkt gesendet hat. Unter Logistikern könnte das beispielsweise eine ergänzende Information für die Zustellung einer Sendung beim Kunden sein.


Smart Contracts

Blockchain beschleunigt Zahlungen

Auch sogenannte intelligente Verträge (Smart Contracts) lassen sich über Blockchain abbilden. Wenn bestimmte vertraglich vereinbarte Daten-Konstellationen vorliegen, können automatisch weitere Aktionen innerhalb des Journals ausgelöst werden. Basis sind dann oft die virtuellen Währungen, Tokens genannt, die diese Technologien mit sich bringen. So könnte – um in der Logistikwelt zu bleiben – beispielsweise im Bereich Stückgut definiert werden, dass der Versandspediteur eine entsprechende Menge an Tokens an einen Smart Contract überweisen muss, sobald er sein Bordero in das Journal einstellt. Meldet der Empfangsspediteur eine erfolgreiche Zustellung und wird dieser nicht widersprochen, kann er diese Tokens für sich beanspruchen und wird somit für die Zustellleistung bezahlt. Dies könnte theoretisch das Clearing unnötig machen. In der Praxis ist das allerdings nicht so einfach: Die Tokens müssen irgendwann in harte Währung eingetauscht werden können. Dafür kommen beispielsweise Tauschbörsen in Frage, auf denen Tokens wie Bitcoin öffentlich gehandelt werden. Diese unterliegen allerdings enormen Kursschwankungen. Alternativ findet man eine Instanz, die den Umtausch zu einem definierten Kurs garantiert. Das widerspräche aber der zuvor erreichten Unabhängigkeit von entsprechenden Zentralstrukturen.


Herausforderungen

Auch die Blockchain hat ihre Grenzen

Die Datenmenge, die über eine Blockchain übermittelt werden kann, ist begrenzt. Oft sind nur wenige hundert Byte erlaubt. Das reicht für eine einfache Statusmeldung wie „Sendung XYZ wurde heute um elf Uhr zugestellt“, aber nicht um komplette Sendungsdaten oder gar Ablieferquittungen und Schadensfotos auszutauschen. Die Blockchain ist also kein primäres Datenaustauschprotokoll. Große Datenmengen müssen weiterhin über andere Protokolle ausgetauscht werden, können aber zusätzlich über Prüfsummen im Journal „beglaubigt“ werden. Folglich müssen Unternehmen zusätzliche auch andere Kommunikationskanäle zur Blockchain aufrechterhalten. Dies hat auch Vorteile. Denn die Information auf diesen Kanälen wird nicht zum Bestandteil des Journals, was einerseits den Datenschutz wesentlich vereinfacht – weil alles, was im Journal steht, ist erst einmal für alle Teilnehmer öffentlich einsehbar – und andererseits die Datenmenge geringhält. Das ist wichtig, weil grundsätzlich jeder Teilnehmer eine Kopie aller Daten – egal, ob sie für ihn bestimmt sind oder nicht – auf seinen lokalen IT-Systemen vorhalten muss.


Transaktionsgeschwindigkeit

In der Logistik kann Blockchain schnell an Grenzen stoßen

Die Transaktionsgeschwindigkeit ist für die Logistik besonders relevant. Im Lebenszyklus einer Sendung oder eines Produkts fallen heute immer mehr Daten an. Diese Daten in ein dezentrales Journal zu schreiben, dauert deutlich länger als in eine herkömmliche Datenbank. Durch die hohe Anzahl an Sendungen, die parallel bewegt werden, kann man hier schnell an systemische Grenzen stoßen. Zum Vergleich: Bitcoin wickelt heute nur eine einstellige Anzahl von Transaktionen pro Sekunde ab, klassische Zahlungsanbieter wie Visa mehrere tausend. Es gibt unter den Blockchain-Ansätzen aber auch Protokolle wie IOTA oder Private Chains, die hier durchaus mithalten können. Generell sollte man sich bewusst sein, dass ein solcher Ansatz gegenüber einer zentralen Lösung in der Regel immer höhere Kosten in Bezug auf die Verarbeitung der Daten nach sich zieht, da die Daten an vielen Stellen vorgehalten und vielfach überprüft werden müssen.

Fazit

Blockchain als sinnvolle Ergänzung für Logistiker

Blockchain bietet neue Möglichkeiten, wie man die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen auf eine solide, vertrauensvolle Basis stellen kann. Man muss sich allerdings auf die Technik einlassen, als „vollwertiger“ Teilnehmer dabei sein und die Limitierungen kennen, um keine Überraschungen zu überleben. Dann bietet sie eine sinnvolle Ergänzung zu bestehenden Strukturen. Für die Logistik bietet Blockchain-Technologie einen spannenden Weg, die Transparenz ebenso wie die Sicherheit entlang der gesamten Supply Chain zu erhöhen und zudem Prozesse zu beschleunigen. Allerdings sind damit auch noch einige Herausforderungen – vor allem auf technischer Seite – verbunden, die Blockchain (noch) nicht zum Nonplusultra für Logistiker machen. Sofern man sich auf eine vertrauenswürdige Instanz einigen kann, bieten zentrale Architekturen heute oft kostengünstigere Alternativen, um große Datenmengen und hohe Transaktionsvolumina zu verarbeiten.


Stefan Seufert
Stefan Seufert
CTO / Vorstand

Wie kein Zweiter fuchst sich der Software-Entwickler als Meister des Konzepts in die Anforderungen von Logistikdienstleistern. Informationen sicher und effizient auszutauschen und damit auch den physischen Logistik-Prozess zu beschleunigen, ist seine Leidenschaft.


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